Schweigen Stille Meditation

Zur Bedeutsamkeit des Schweigens

Am Anfang steht ein Paradoxon: Sollte man vom still sein, vom schweigen – einem außersprachlichen Phänomen – überhaupt reden bzw. schreiben? Würde es sich nicht eher empfehlen, dem Beschriebenen zu entsprechen und einfach stumm zu bleiben, und eben nicht darüber zu sprechen (oder schreiben), sondern vielmehr zu schweigen. Doch das Phänomen Schweigen ist ein allzu Wichtiges. Wir müssen deshalb über das Schweigen reden. Darüber was es ausmacht und darüber was es aus uns macht.

Die vielen Gesichter des Schweigens

Vieles kann man einem Schweigen zuschreiben zu sein… schrecklich, verzweifelt, verzückt, verräterisch, mörderisch. Oft ist Schweigen ungewohnt, unbequem und man muss es aushalten können. Manchmal soll Schweigen eine Strafe sein. Und dann gibt es noch das tote Schweigen. Doch auch laut kann Schweigen sein, oder sogar schreien. Man kann sich schweigend Verstehen und wortlos – also miteinander schweigend – glücklich sein. Und schließlich, diese beiden seien zumindest noch erwähnt: das Schweigen, das bewahrt wird, das etwas ver-schweigt und jenes andere, das gebrochen wird, wenn das Verschwiegene nun endlich zur Sprache gebracht wird, wenn die Schweigenden nach langem das Wort ergreifen. 

Versuch einer Definition: Schweigen ist die Entscheidung nicht zu kommunizieren

Schweigen, so könnte man sagen, ist das Gegenteil von Sprechen, denn nur wer sprechen kann, der kann auch schweigen. Die Fähigkeit zu Sprechen, hingegen, ist eine den Menschen konstituierende Fähigkeit. Wir Menschen sind „sprachliche Wesen“ – wir sind auf Sprache angewiesen: Zum einen benennen wir über das Sprechen die Welt, bestimmen sie so und machen sie dadurch verfügbar. Zum anderen ist uns Menschen mittels der Sprache auch die Fähigkeit gegeben, unsere innere Erlebniswelt nach Außen hin mitzuteilen, unser privates geistiges Erleben wird verbalisiert und dadurch mitteilbar. So können wir mit anderen in Kontakt treten und uns über die Dinge in der Welt und in unseren Gedanken austauschen: über persönliches Befinden, Ideen & Visionen, Wissen & Geschichten und alles was uns sonst noch so bewegt. Schweigen, nun, ist sich dieser Kommunikation zu enthalten.

Schweigen

Schweigen also ist bewusst – aus welchen Gründen auch immer – von dieser den Menschen konstituierenden Fähigkeit der Sprache keinen Gebrauch zu machen.

Schweigen ist mehr als Stille

Stille und Schweigen sind damit nicht vollkommen identisch. Stille ist negativ betrachtet die Abwesenheit von Lärm, von Geräuschen oder auch von Gerede. Stille stellt sich also ein, sie passiert, wenn keine Geräuschquellen aktiv auf unser Ohr treffen.

Eine Stille

Schweigen hingegen ist gewissermaßen aktives Tun. Natürlich ist es auch ein Unterlassen und hat damit eine passive Qualität, dennoch konstituiert das Schweigen immer eine aktive Entscheidung: Man könnte ja auch reden, aber man entschließt sich eben zum Schweigen. Stille passiert einfach, Schweigen muss mensch machen.

Schweigend bewahren wir Geheimnisse

Schweigen ist Bei-Sich-Behalten, Für-Sich-Behalten. Das, was gesagt werden könnte, verbleibt bei mir. Jeder hat vermutlich etwas worüber er oder sie Schweigen bewahrt. Ob nun eigene oder fremde Geheimnisse, immer gilt: Wie ein Mantel kann sich mein Schweigen über eine Sache legen und sie unter sich begraben. Schweigen verdeckt eine Sache, lässt sie aber nicht verschwinden. Sie ist noch immer da, wie ihre Silhouette unter dem Mantel deutlich sichtbar wird und wirkt – ganz gleich, ob nun darüber gesprochen wird oder nicht. So wird das Schweigen manchmal zum beredten Schweigen und spricht subtil in Bänden obgleich es doch nichts sagt.

Schweigen

Schweigen ist Selbstbeherrschung

In der Fähigkeit zu Schweigen zeigt sich die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung. Nur zu gut kennen wir doch alle diese Momente, in denen es uns schwer fällt, unsere Zunge zu zügeln. Zum Beispiel in einem Streit, wenn der Zorn uns zwickt, dann juckt die Zunge regelrecht, etwas widerwärtiges zu erwidern. Doch in weiser Voraussicht der bald zu verspürenden Reue mahnt uns das Schweigen zum Unterlassen. Nicht immer schaffen wir es, dieser Mahnung folge zu leisten.  

Schweigen

Die Reue folgt wie erwartet auf dem Fuße. Für so einen Moment gilt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Und solcher Momente gibt es zahlreiche: da man sich um Kopf und Kragen redete und wünschte man hätte wohl mal lieber geschwiegen… Das Schweigen im richtigen Moment ist eine hohe Kunst. Im alten Ägypten gründete sich der soziale Rang von Menschen wohl tatsächlich auf das Maß, in dem er oder sie durch sein Schweigen Selbstbeherrschung demonstriert hatte.

Schweigen ist die Sprache des Augenblicks

Den gegenwärtigen Augenblick kann Sprache nur unzureichend erfassen. Alles was wir mit Worten versuchen zu beschreiben, liegt immer schon in der Vergangenheit. In dem Moment, in dem ich im Wald beim Spaziergang entzückt ausrufe: „Guck, da sitzt ein Kaninchen!“ ist es schon längst aufgesprungen und sprintet hinfort. Die Blicke können nur noch versuchen, ihm hinterher zu jagen und das Sprechen, das zeigt sich hier deutlich, bringt nur allzu oft das zum Verstummen, was nur in der Stille zur Erfahrung kommen kann. Das unmittelbare und ungetrübte Wahrnehmen des jetzigen Augenblicks in seiner ganzen Fülle – dies kann nur schweigend passieren. So ist das Schweigen gewissermaßen die Sprache, in dem sich der gegenwärtige Augenblick ausdrückt. Uneingeschränkte Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks fordert Schweigen.

Stille Meditation

Schweigen & Meditation: ein Paar, das wesenhaftes teilt

Und andersherum, wenn man absichtsvoll schweigt, so verschärft sich die Wahrnehmung für den gegenwärtigen Moment wie von selbst, verschärft sich für alles, was jetzt gerade ist. Schweigen fördert uneingeschränkte Wahrnehmung. Denn Stille, die durch absichtsvolles Schweigen entsteht, wird nicht selten begleitet von einem besonderen Bewusstsein für den zarten Zauber jedes einzelnen Moments. Ganz normale Tätigkeiten, wie Geschirr spülen, Unkraut jäten, Gemüse schnibbeln bekommen im Schweigen ausgeführt oft ganz natürlich einen meditativen Charakter. Es entfalten sich, getragen vom Schweigen, ganz natürlich Zustände erhöhter Aufmerksamkeit. An dieser Kreuzung treffen sich Schweigen und Meditation zu einer Wesensgemeinsamkeit, denn es ist dieses selbst vergessene Bewusstsein in der Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments, das die beiden teilen.

Schweigen ist eine wertvolle Unterbrechung

Oft wird Schweigen als eine Pause oder auch Unterbrechung betrachtet, die manchmal sogar künstlerisch eingesetzt wird. Beispielsweise ist es ein eindrückliches Kunstmittel in einem Lied den Refrain ausfallen zu lassen und an seine Stelle das nackte Schweigen zu stellen. Das Schweigen reißt aus der vertrauten Wiederholung, es irritiert und rüttelt auf. Man wird gezwungen nachzudenken und sich neu zu sortieren, das Ganze mit einem Male aus neuer, anderer Perspektive an zu schauen und zwar fernab der Selbstverständlichkeit der gegebenen, sicheren und vor allem vertrautem Abfolge. In dieser Art kann Schweigen auch uns einen geschärften Blick gegenüber unserem Handeln geben und zwar insbesondere gegenüber dem Automatismus der Aufeinanderfolge, der uns im Alltag oft genug verschluckt. Ein radikaler Verzicht, so scheint es, bewirkt eine wertvolle, manchmal sogar heilsame Unterbrechung und verleiht so eine Form großer Freiheit.

Schweige-Retreats – wenn man länger schweigt

Auf einem Schweige-Retreat treffen äußere Stille und der innere Entschluss zu schweigen aufeinander. Solche Retreats haben oft therapeutische Wirkung, indem es den Menschen zu einem besonderen Rückzug befähigt, nämlich zu dem auf sich selbst: Die äußere Ruhe kombiniert mit dem Verzicht auf Kommunikation nach Außen, wirft uns dabei in doppelter Hinsicht auf uns selbst zurück.

In unserem Alltag sind wir mit vielen Ablenkungen und Zerstreuungen konfrontiert. Meistens läuft Musik im Hintergrund, man ist unter Menschen oder schaut Netflix und Co. In modernen Gesellschaften tendieren wir außerdem dazu viele Dinge gleichzeitig zu machen; also neben dem Essen, Kochen, Putzen etc. noch eine Serie zu gucken oder nebenbei zu telefonieren, oder Musik zu hören während man joggt… Damit sind wir ständig vielen Reizen und Informationen von außen ausgesetzt, äußere Stille hingegen erfahren wir nur selten, vor allem wer in einer Stadt wohnt. Die Menge an Reizen kann überwältigend sein und will natürlich verarbeitet werden. Bei all dem Lärm & Reizen ist es nicht verwunderlich, wenn man dazwischen sich selbst gar nicht mehr hören kann. 

Schweigen Meditation

So ist als eine ausbleibende Lärmkulisse der erste Wurf zurück zum Selbst. Eine äußere Stille ganz ohne die Ablenkungen der modernen Gesellschaft ist der Hintergrund, vor dem es erst möglich wird, sich Selbst wieder zu hören und zu lauschen, was da aus der Stille spricht in mir.

Stille Meditation

Der zweite Wurf zurück ist der Verzicht auf die Kommunikation nach Außen. Schweigend bleibt man allein nur mit sich selbst. Gewissermaßen ist man sich selbst ausgesetzt. Und das kann für den ein oder anderen eine neue, herausfordernde oder gar erschreckende Erfahrung sein, bietet jedoch ungeheures Potenzial. Man kann vielleicht ganz neues an sich entdecken oder aber eine gründliche Bestandsaufnahme vornehmen. Was trägt man gedanklich gerade mit sich herum: welche Probleme, Gedankenschleifen, welche Hoffnungen, Träume und Ängste? Welche wortlosen Empfindungen, welche lang-vergessenen Erinnerungen, welche tief-sitzenden Beweggründe? Schweigen ermöglicht einen Rückzug auf sich selbst fernab von äußeren Ansprüchen, Einflüssen & Erwartungen. In und aus sich Selbst kann man im Schweigen einen festen Mittelpunkt finden, um von dort aus die Welt zu erobern.

Schweigen als himmlische Kommunikation

Doch das Schweigen ist nicht nur Ermöglichungsgrund für eine Begegnung mit sich Selbst, sondern auch mit dem Göttlichen. Versuch Dich einmal zu erinnern, wann Du das letzte Mal an einem sakralen Ort warst, wie eine Kirche oder Kathedrale oder auch nicht-christliche sakrale Orte anderer Religionen. An diesen sakralen Orten herrscht eine besondere Stille. Es sind Orte der Andacht, der Kontemplation, des Gebets. An diesen Orten wird nicht geplappert. Diese Orte verlangen, dass wir schweigen. Denn Gott schweigt und nur schweigend können wir ihm begegnen, so heißt es vielfach in christlich-theologischer Literatur. Mit Gott kann man nicht einfach und direkt reden, sondern man wird still vor ihm. Man legt das Schweigen an, wie ein heiliges Gewand, wenn man in Kontakt mit dem Göttlichen kommen wollen. Unter religiösen Menschen sind mehrjährige oder sogar ganz-lebige Schweigegelübnisse keine Seltenheit, man zieht sich gern zurück in die stille Einsamkeit. Denn nur im Schweigen kann sich Gott dem Menschen offenbaren und so zum ihm sprechen.

Welche Erfahrung hast Du schon mit Schweigen gemacht? Ergänze deine Sicht aufs Schweigen gern in den Kommentaren…

 

Verwendete Literatur:

 

Schweigen: Unterbrechung und Grenze der menschlichen WIrklichkeit; Kamper, D., Wulf, C. (Hrsg.)

Die Entdeckung des Schweigen; LeClaire, A. D.

Die Übung des Schweigens in der Mystik: Überlegungne zur Hermeneutik des Schweigens; Krusche, R.

Schweigen: Ein ethisches Phänomen; Skolud, M.

Das Herz der Stille: Anleitungen zum Meditieren; Main, J.

 

 

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